Montag, 3. Dezember 2012

Interview: Liam Neeson zu "Taken 2"



Interview: Liam Neeson zu „96 Hours – Taken 2“

Wir befinden uns mitten in den Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Hollywood-Regie-Liebling Steven Spielberg hat mit seinem Holocaust-Mammut-Filmprojekt “Schindler’s Liste” gerade haufenweise Oscarnominierungen eingeheimst. Darunter auch für Oskar-Schindler-Darsteller Liam Neeson. Die Welt schaut auf den irischen 193cm Hünen. Plötzlich klingelt das Telefon mit einem Angebot, dass seine Karriere komplett ändern könnte. In einem Film namens “Goldeneye” soll er die Hauptrolle übernehmen. Richtig! Ein Ire als Macho-Geheimagent James Bond. Doch er lehnt vehement ab. Begründung? Neeson sieht sich einfach nicht in einem Actionfilm und war auch nie daran interessiert bei solchen Filmchen mit zu machen.


Seit dem kämpfte er als schottischer Highlander in “Rob Roy”, überzeugte als irischer Revolutionsführer “Michael Collins”, schwang sein Jedi-Schwert um Obi-Wan Kenobi und Darth Vader in “Star Wars” zu trainieren, bildete Batman in den düsteren Neuverfilmungen in allen wichtigen Kampfsportrichtungen aus, lieh dem mysthischen Löwen Aslan in den “Narnia”-Filmen seine Stimme und verkörperte Zeus persönlich, was ihn mindestens in zwei Religionen zu einem Gott macht. Er war der Kopf des Kino “A-Teams”, ein begnadeter Wolfskiller in “The Grey” und trotzdem kamen fiese Menschenhändler in “96 Hours” auf die Idee seine Tochter zu entführen. Als pensionierter CIA-Agent Bryan Mills, der sogar den Eiffelturm abreissen würde, um sein gekidnapptes Kind wieder zu bekommen, ballerte sich Neeson 2008 in die Herzen der Actionfans. Nur den Oscar - den hat er noch immer nicht bekommen. Egal - denn jetzt startet die Fortsetzung “96 Hours - Taken 2” in den Kinos und der neueste Actionheld am Hollywood-Himmel sitzt uns im 5-Sterne Hotel gegenüber.

Seine Haut ist braungebrannt, als würde er gerade aus dem Urlaub zurück kommen, er trägt einen schwarzen Anzug, dazu ein dunkelblaues Hemd, Haifischkragen, die ersten paar Knöpfe sind offen. “Wo soll ich mich hinsetzen?” brummt seine beruhigende Stimme bei schummrigen Kronleuchter Licht in das Luxus-Hotel-Zimmer am Berliner Gendarmenmarkt. Da die Nachfrage natürlich groß ist und der Hollywoodstar-Kalender gefüllt, teilt man sich die 20 Neeson-Minuten gerne mit 5 anderen Kollegen, die mit am Runden Tisch vor dem Hauptdarsteller sitzen. Alles ist mit dabei. Die junge, hippelige Blondine, die eigentlich nur ihr Facebook-Foto beansprucht und dieses lästige Interview-Geschwafel am liebsten so schnell wie möglich hinter sich bringen will. Der schüchterne Fan, der auch mal leicht ins Stottern kommt, die abgeklärte Boulevard-Jounalistin, sie alle haben ihre Fragen und kämpfen um jede Sekunde Aufmerksamkeit. “Ob er ein Wasser will?” fragt eine besorgte PR-Dame. Natürlich nicht. “Ihm geht’s gut” antwortet er, während er mit einem Zahnstocher in seinem Mund herumpuhlt und sich gelassen der Fragerunde stellt.

Wie fühlt es sich an, wieder in die gleiche Rolle zu schlüpfen?

Es ist so, als würde man einen sehr komfortablen Anzug anziehen.

Als sie das erste Mal, diesen Anzug trugen, passte er nicht wirklich ins Liam Neeson Ouevre. Sind solche Actionfilme nicht eine große Herausforderung für sie?

Ja. Klar. Besonders vom körperlichen Aspekt her. Aber es ist
einfach ein großer Spaß.

Wie haben sie sich auf die Action vorbereitet?

Ach. Na ja. Ein wenig mit der Waffe trainiert. Und ich war 7 Tage die Woche im Fitnessstudio. Eine Actionszene ist wie ein Tanz. So was macht mir - wie gesagt - einfach Spaß.

Und das mit seinen sechzig Jahren. Na gut, bevor er Physik, Mathe und Theaterwissenschaften studierte um Lehrer zu werden und später Brummifahrer war, erkämpfte sich Neeson in jungen Jahren den nordirischen Meistertitel im Boxen. Anscheinend hat der Mann nie mit dem Fitnesstraining aufgehört. Er ist auch die Ruhe in Person, als er die ersten Fragen in seiner ausgeglichenen Stimmlage beantwortet. Sogar unser Fan wird von seiner Aura beruhigt, stottert nicht mehr und bohrt drauf los.

Wie lange habt ihr an der finalen Action-Szene im Hamam in Istanbul gedreht?

Lass mich überlegen. Wir durften nur 2 Tage mit dem Team dort sein. Und die haben die Heizung schon zwei Tage vorher abgestellt…

Jetzt kommt er ein wenig ins Schwärmen.

…Trotzdem war es noch immer verdammt heiß! Das Ding wurde vor 500 Jahren als Hamam gebaut. Es ist 500 Jahre alt und noch immer ein Hamam.

Ein verständnisvolles Nicken von unserer Seite. Für eine Sekunde passiert nichts im Raum.

Sehen sie sich als Actionheld?

Och nein. Ich habe 56 Filme gedreht.

Man schaut ihm in die müden Augen. Er schiebt seinen Zahnstocher gelassen im Mundwinkel hin und her, gönnt sich immer wieder Atempausen um dann etwas wortkarg zu antworten. Mit seiner Gelassenheit und der entspannenden Stimmlage fühlt man sich, als würde ein vertrautes Familienmitglied seine Anekdoten seelenruhig am Lagerfeuer sitzend besprechen. Die Stimmung - so wohlig es sich anhört - scheint jedoch auf einem Tiefpunkt angekommen zu sein. Wenn es so weitergeht, schläfert er uns vielleicht noch ein. Vielleicht schläft er sogar noch selbst ein.

Falls ihre Action-Karriere so weiter läuft. Sehen sie sich vielleicht demnächst sogar bei den „Expendables“ im Team?

Endlich ein erlösendes Lachen in der Runde.

Ich glaube nicht. Da ist einfach kein Platz mehr für mich drinnen. Das sind doch jetzt schon viel zu viele.

Würden sie immer noch das James-Bond-Angebot ablehnen?

Ich bin jetzt zu alt für James Bond und die haben im Moment einen super Darsteller dafür.

Das Lachen verstummt. Es wird wieder ruhiger im Raum. Ok, genug mit den soften Fragen. Versuchen wir mal etwas über sein Familienleben heraus zu finden.

Wie sie vorhin erzählten, haben sie in über 56 Filmen mitgespielt. Zwanzig davon in den letzten Jahren. Das ist ein immenser Output, wann haben sie mal frei? Wann Zeit für ihre Familie?

Zwischen den Filmen gibt es immer ein paar Monate Zeit. Ich meine an “Battleship” habe ich nur für 4 Tage gearbeitet. “Batman - The Dark Knight Rises” waren vielleicht 2 Stunden.

Waren sie mit dem Ende der “Batman”-Filme zufrieden. Wie fanden sie den Schluss?

Weisst du. Ich habe ihn nicht gesehen. Man hat mir erzählt, ich bin im Film.

Schauen sie ihre eigenen Filme nicht?

Doch schon. Aber “Batman - The Dark Knight Rises” soll wohl dreieinhalb Stunden gehen. Komm schon. Ich meine, dass ist es, was ich an den “Taken”-Filmen so mag. Die gehen nur 90 Minuten.

Er schnippst mit seinen Fingern.

Sie sind verdammt kompakt!

Die Gewalt stört sie nicht?

Ach. Ich bin Immun gegen solche Sachen. Das ist - leider - in unserer Kultur verankert. Und es ist auch nur Filmgewalt.

Dürfen ihre Söhne diese Filme schauen?

Ja, klar. Die finden das super.

Wie alt sind sie?

16 und 17 Jahre alt.

Was denken sie über ihren Action-Papa? Nehmen die beiden sie ernst?

Nicht ernst genug. Die sind jetzt aber in dem Alter, wo ich schon wissen will, was sie von meiner Arbeit halten. Natürlich auch in Bezug auf die “Taken”-Filme.

Und?

Sie sagen immer “Dad - das war okay!”. Das ist dann auch alles was man bekommt.

Ziehen sie die Arbeit an Liebesfilmen oder Actionfilmen vor?

Ich liebe es, beide Genres zu kombinieren.

Also Liebesszenen in Actionfilmen?

Da ist sie wieder, die berühmte Atempause. Doch plötzlich lächelt er und schwatzt drauf los.

Du meinst, ob ich auf Liebesszenen stehe? Es ist cool, aber auch immer ein wenig peinlich.

Weil so viele andere Leute dabei am Set mit rumstehen?

Ja, es ist irgendwie unbehaglich. Nächste Woche drehe ich einen Film mit Olivia Wilde und wir haben zwei oder drei Szenen in denen wir Liebe machen. Der Regisseur kam zu mir und meinte. “Nur damit du bescheid weisst, Olivia wird nackt sein”. Sie rennt einen Flur entlang, du wirst sie in der Szene von hinten anhimmeln. Ich schaute ihn an und sagte nur “super, das ist ausgezeichnet”.

Der ganze Raum lacht. Wenn es um Frauen geht, scheint er wieder ganz da zu sein. Die Stimmung ist auf ihrem Hochpunkt.

“Werden sie auch nackt sein?” ruft unsere Blondine ungeniert von der Seite in die Menge. Neeson grinst.

“Wir brauchen dich auch nackt”, erklärte mir der Regisseur. “Dude - mein verfickter irischer Arsch wird niemanden antörnen. Besonders nicht auf 35mm Kamera!” erwiderte ich und die Sache war gegessen.


Haben sie jemals daran gedacht nach Irland zurück zu ziehen?

Öhm. Ich weiss nicht.

Haben ihre Söhne eine Verbindung zu ihrem irischem Background?

Oh ja. Sogar richtig.

Sie haben mal gesagt, dass sie erleichtert sind, zwei Söhne zu groß zu ziehen, weil sie Angst hätten, Töchter zu haben. Stimmt das?

Ja. Bei Töchtern ist man einfach zu ängstlich und will sie zu sehr vor allem schützen.

Also wären sie schon wie ihr Film-Charakter in “Taken”?

Ja, nur ohne die ganze Gewalt. Mit Jungs ist einfach alles viel einfacher.

Das muss er wirklich wissen. Neeson ist nämlich in einem reinen Frauenhaushalt mit drei Schwestern aufgewachsen. Aufgelockert traut sich die Fragerunde nun auch ein paar ernstere Dinge an zu sprechen.

In den “Taken”-Filmen geht es unter anderem um zweite Chancen. Im ersten Teil, hofft Papa Bryan auf eine neue Chance sich seiner Tochter zu nähern. Im zweiten, will er seiner Ex-Frau wieder näher kommen. Glauben sie an zweite Chancen?

Wenn wir sie haben können…

Jetzt wird es wieder ruhiger im Raum. Er denkt nach. Auch gern ein wenig länger. Schaut in die Luft, spielt wieder an seinem Zahnstocher herum. Natürlich weiss er worauf wir hinaus wollen. Wer seine Shakespeare-Gesamtausgabe als eine von drei überlebenswichtigen Dingen nicht missen will, der weiss wie Drama funktioniert. Und sicher auch wie man ihm ausweicht.

Er stottert ein wenig. Blinzelt mit den Augen.

Ja. Ich glaube schon daran.

15 Jahre war Neeson mit der Schauspielkollegin Natasha Richardson verheiratet. Die Mutter seiner Söhne Michael (17) und Daniel (16) starb 2009 mit 45 Jahren nach einem Skiunfall an einer Gehirnblutung. Laut Neeson hat er den Tod nur überlebt, indem er davonlief und sich Hals über Kopf in Arbeit stürzte. Die gute Nachricht ist, 2010 verliebte er sich wieder in die 22-Jahre jüngere Freya St. Johnson. Mittlerweile hat er sich wieder gefangen.

Was meinen sie damit?

Im Theater zum Beispiel kann man acht Mal die Woche eine zweite Chance haben. Du verkackst etwas am Dienstag und am Mittwoch ist wieder alles bestens.

Und im echten Leben?
Nein, ich glaube dort nicht.

Gibt es trotzdem eine Situation, wo sie gerne eine dieser zweiten Chancen im echten Leben genutzt hätten?

Er murmelt die Frage noch mal leise vor sich hin.

Zweite Chance…

Er denkt nach.

Mir fällt nichts ein.

Also sind sie gerade fröhlich im Leben?

Zufrieden! Ich glaube nicht an Fröhlichkeit, ich glaube an Zufriedenheit.

Kein Glaube an Glück?

Nein, es kommt und geht. Es sind immer nur Momente.

Das war jetzt alles ein wenig erdrückend. Am besten wir kommen direkt wieder auf den Film zu sprechen um den es hier ja gehen soll.

Gab es gravierende Unterschiede zwischen dem Dreh vom ersten oder zweiten „Taken“-Teil?

Es geht. Die Franzosen arbeiten sehr schnell. Das mag ich.

Gucken sie denn selbst solche Filme?

Das ist eine gute Frage. Ich habe letztens “The Skin I Live In” gesehen. Dieser Almodovar-Film. Er war sehr gut.

Sie sind seit 2009 Amerikaner. Wie stehen sie zu den Wahlen?

Dazu will ich nichts sagen.

Wird es einen dritten “Taken” Teil geben?

Ich glaube nicht. Aber ich würde gern mal wieder in Berlin drehen. Ich meine Babelsberg sind die ältesten Filmstudios der Welt. Ansonsten vielleicht in Hongkong.

Eine der Pressefrauen stürmt in den Raum.„Letzte Frage!“ ruft sie in die Runde.
Interessieren sie sich für Einspielergebnisse, Zahlen und so was?

Ja schon. Also früher nicht so, aber jetzt, wenn mein Name so groß im Titel steht, da finde ich es schon sehr interessant. Ich bin nicht besessen davon, aber es ist schon wichtig.

Und dann ist auch alles schon wieder vorbei. Für ein paar Minuten war man Teil im Leben eines Hollywoodstars. Unsere Lieblings-Journalisten-Blondine bekommt ihr Foto, Liam Neeson bleibt brav am runden Tisch sitzen, wir werden gemeinsam aus dem Raum geleitet und vor der Tür wartet schon die nächste Reporter-Meute bewaffnet mit ihren Diktiergeräten in den Händen.

Text: Markus Breuer 

Siehe auch: "96 Hours - Taken 2"-Filmkritik...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen